Gute Geschichten werden niemals alt. Diese zum Beispiel. Max Schumann hat 2017 mit Tobias Woggon die absoluten hochalpinen Trailhighlights im Vinschgau unter die Räder genommen. Auch sechs Jahre später haben die Bilder und Eindrücke nichts von ihrem Reiz verloren. Genug angeteasert, hier die Geschichte von Max.
"Seit Jahren habe ich diese Liste im Kopf. Die Liste der absoluten Trail-Highlights im Vinschgau. Trails in hochalpinem Gelände weit jenseits der Baumgrenze, dort wo Geröll und Gletscher die Landschaft prägen und der Flow des Vinschgauer Trailzaubers entspringt.
Doch vorlieblich besuche ich das Vinschgau in den Übergangsjahreszeiten, wenn im späten Herbst oder frühen Frühjahr anderorts schon oder noch der Winter dominiert. Dann liegt allerdings auch hier in den hohen Regionen Schnee. Und wir vergnügen uns mit den flowigen Pfaden in tieferen Lagen. Das sollte sich nun dieses Jahr ändern.
Endlich werde ich die drei einfachen und fast heiligen Hochtouren-Highlights abhaken: Stilfser Joch, Madritschjoch und Göflaner Schartl
Stilfser Joch
Wir starten früh um 6 mit dem Shuttle in Richtung Stilfser Joch. Um diese Uhrzeit herrscht auf der beliebten Passstraße noch angenehm wenig Verkehr. Allerdings erreichen wir dadurch die Passhöhe schon bevor uns in der Tibethütte ein Cappuccino serviert werden will. Schade, so starten wir koffeinarm in die Abfahrt.
Doch auch der Anblick des Tibettrail und der Ausblick ins Tal wecken unserer zuvor auf der Passtraße müde geschaukelten Bikerseelen. Der Trail erstreckt sich vor uns im groben Geröll und verliert sich fließend in der Ferne. Rechter Hand ragt über uns das gewaltige Ortler-Massiv. Ein Berg aus Eis und Fels. Ihn werden wir in den nächsten Tagen halb umrunden. Auf Singletrails, in Bussen und Bergbahnen.
Die Abfahrt beginnt und weckt uns endgültig auf. Zunächst noch flowig und nur answatzweise unrund wird die Abfahrt langsam steiler und wartet mit einigen spitzen Kehren auf. Nach 500 felsigen Tiefenmetern, passiert der Trail wieder die Passstraße. Das Hotel Franzenfeste bietet hier eine gute Gelegenheit nun endlich die langersehnte Cappuccino-Pause einzulegen. Dazu gibt es Apfelstudel als zweites Frühstück. Perfekt.
Es geht weiter: Tiefer ins Tal und hinein in den Wald. Der Trail bleibt technisch und steil und führt entlang des wilden Bachs immer weiter hinab.
Bei Trafoi ist der Trail für uns zu Ende. Nach eine weiteren kurzen Kaffeepause rollen wir auf der Straße weiter nach Gomagoi. Von hier geht es für uns mit dem Bus hinauf nach Sulden. Ein entspannter Nachmittag steht bevor. In Sulden geht es mit der Bahn hinauf zur Schaubachhütte. Hier wollen wir die Nacht bleiben um am nächsten Morgen im ersten Licht auf dem Madritschjoch zu stehen. Ganz motiviert, könnte man beide Jöcher (Stilfser und Madritsch-) auch an einem Tag schaffen, doch Abfahrtsrekorde sind heute nicht unser Ziel.
Madritschjoch
Die Schaubachhütte ist gemütlich und leicht zu erreichen. Sie steht in der hochalpinen Geröll- und Gletscherlandschaft im Schatten des Ortlermassivs und ist beliebter Ausgangspunkt für Hochtouren. Wir vertreiben uns den Abend mit TrivialPursuit Ratespielen und bereiten uns auf einen frühen Start am nächsten Morgen vor.
Deutlich vor Sonnenaufgang kriechen wir aus den Stockbetten, rollen die Hüttenschlafsäcke ein, knabbern an der Käsesemmel, die wir uns als Frühstück am Vorabend schon mit aufs Zimmer genommen haben und streifen unsere Jacken über.
Die Sterne strahlen am Himmel, während wir langsam den steilen Fahrweg in Richtung Madritsch-Joch hinaufradeln. Hinter uns wird die noch dunkel daliegende Hütte zusehends kleiner und die Bergwelt um uns herum immer beeindruckender.
Ganz langsam wird es heller. Bis zum Madritschjoch auf 3150 m Höhe sind es von der Bergstation der Bahn bzw. von der Hütte gut 600 Höhenmeter. Im Anbetracht der 2500 Tiefenmeter, die es auf der anderen Seite über das Martelltal bis nach Latsch hinunter geht, ein absolut fairer Preis. Wir erreichen das Joch genau zum Sonnenaufgang. Fast geblendet von den ersten Strahlen, die über die Berge im Osten dringen, staunen wir über die Ruhe, Schönheit und Einsamkeit, die hier oben zu dieser Tageszeit herrscht.
Vor uns erstreckt sich ein absoluter Traumtrail. Für die hochalpine Lage ist er beindruckend flowig. In fast moderatem Gefälle und mit mehr runden als spitzen Kehren zieht sich der Pfad flüssig und weitläufig in Richtung Tal. Immer wieder fordern kleinere und größere Hindernisse unsere Fahrtechnik, aber nie nehmen sie wirklich den Schwung. Mehrfach bleibe ich stehen und schüttele den Kopf. Ich kann kaum glauben, dass ich diese Tour noch nie gefahren bin. Dass ich mir nicht früher die Zeit genommen und die Gelegenheit gegönnt habe. Und es steht bereits nach wenigen Metern fest: Ich werde wiederkommen.
Wir erreichen die Ausläufer des Trails. Kurz vor der Zufallhütte, kommen uns die ersten Wanderer entgegen. Wir sind froh, dass wir den Großteil der Abfahrt für uns alleine hatten. Es bewährt sich mal wieder die Regel. "Der frühe Vogel fängt den Wurm. Und der frühe Biker verpasst die Wanderer!" Da die Wandersleut gerade alle die Hütten verlassen haben, macht der Hüttenwirt klar Schiff. Die Stühle stehen auf dem Tisch und die Kaffeemaschine ist kalt. So gibt es auch heute wieder Kaffee erst beim zweiten Versuch weiter unten im Martelltal.
Göflaner Schartl
Nachdem Madritschjoch-Traumtrail geht es in verschiedenen Straße-Fahrweg-Trail-Mischvarianten das Tal hinaus bis hinunter nach Latsch. Wer hier ganz motiviert ist, schließt noch die Tour zur Göflaner Schartl an. Alternativ lässt sich diese Tour natürlich auch jederzeit mal von Latsch aus als feine Tagestour fahren.
Da wir aber schonmal hinten in Martell sind, wagen wir es. Tausend Höhenmeter warten bis zur Scharte. Erst langsam strampelnd auf schmalen Straßen, dann schiebend und tragend einen Wanderweg hinauf. Oben am Grat angekommen, wartet wieder mal eine gewaltige Aussicht übers Vinschgau und eine weitere Traumabfahrt. Zunächst verläuft der Trail flowig entlang des Grats . Als es in den lichten Lärchenwald geht aber, wechselt er aber seinen Charakter radikal. Plötzlich ist es grob blockig, aber weiterhin fahrbar. Ab dem Kreuzjöchl gibt es dann zwei Varianten. Entweder links hinab Richtung Holy Hansen und nach Schlanders flowen oder rechter Hand steil, aber wieder deutlich weniger verblockt, Richtung Martelltal und schließlich über Walwege Richtung Latsch ausrollen. Beides fein, Entscheidungen können schwierig sein. Wir wählen die Variante übers Martelltal und staunen auch hier mal wieder über die Schönheit und den Spaß, den die Vinschgauer Pfade zu bieten haben.
Am Abend im Tal, schüttel ich immer noch mein Köpfchen. Diese Trails sind fast zu schön und hochalpin flowig, um so leicht erreichbar zu sein. Und sie bleiben defintiv weit oben auf meiner To-Ride-Liste."
MAXimFLOW Alpine Highlights around the Ortler massif from Bikehotels Südtirol on Vimeo.
Text: Max Schumann
Fotos/ Video: Tobias Woggon